Es gab viele Gründe dieses Bier nicht zu öffnen
Martin Dambach, 21. September 2013, Gärtringen
Kiesbye's Waldbier Cuvee 1, in einer avantgardistischen Papierumhüllung.
In schlaflosen Nächten malte ich mir olfaktorisch aus, wie fichtennadelbadartige Wellnessoasen-Aromen mich wehrlos überfallen und betäuben würden. In diesem Bier sind schließlich verarbeitet worden: Maitriebe von Hochgebirgstannen, Zirbenzapfen (wer hat ne Ahnung Wie ne Zibre aussieht? Weil ich so schlau bin und das weiß, habe ich Waldbier im Keller) auf 1.400 m Höhe gepflückt. Die gesamte österreichische Bundesforst AG steht hinter diesem Bier, machtvolle Mannsbilder mit Vollbärten im Gesicht und Gamsbärten am Hut, eine Armee von Badetuchumhangenen Sauna-Bademeistern, die mit weißen Handtüchern einen vom Himmel stürzenden Fichtenaufguß verarvenzwirbeln.
In alptraumartigen Sequenzen erschienen mir von Autorückspiegeln baumelnde Weihnachts-Duftbäume an denen Ricola-Bonbons oder Latschenkiefer-Bonbons baumelten. Penetranter Douglasien-Fichten Duft nahm mir die Luft zum Atmen, die Fensteröffner versagten, wer hat's erfunden? Doch nicht etwa die Österreicher, ein oder DAS Waldbier, aus Salzburg? Wenn es die Deutschen nicht waren, dann doch die Schweizer, aber nicht ein Österreicher, was kam schon Gutes aus Österreich außer Salzburger Nockerln? "Du bist ein Wildschwein".
Ein irgendwie-braunes Waldmutanten-Männlein mit farbigen Glühaugen und Eichhörnchenohren, so ein Wolpertinger-Verschnitt, hüpfte Gangnam Style artig auf mich zu und wisperte: "Willste auch mal probieren?" und hielt mir aus Marderpfoten, die aussahen wie Handschuhe, einen schon halb abgenagten Fichtenzapfen entgegen.
"Du Hallodri! Wer hat's erfunden?" tönte es immer lauter und verstörender aus gigantischen Alphörnern. Der Sturmwind aus den Alphornöffnungen drohte mich über den jähen Abgrund zu blasen. Die wild gewordenen Schweizer - oder waren es Tiroler, Wiener oder gar kärtnerische Klagenfurt-Slowenen - jedenfalls waren es wieder nackte oder grüne Lodenmantel-Förster mit Gandalfbärten, die ihre fliegenpilzroten Backen immer stärker blähten und drohend ihre leeren Ricola-Tüten schwenkten.
Ich wollte mich noch an den ausgebleichten Ästen der vom Waldsterben geschwächten Hochgebirgstannen festhalten, der Wald ist doch tot, hieß es vor Jahrzehnten, wo sind die jungen Triebe? Die Äste brachen, "Rotkäppchen hilf mir", versuchte ich noch zu schreien, Steine rollten, der dunkle Waldboden drehte sich blätter- und wurzelrieselnd zum Himmel, ich stürzte in eine ewige Tiefe und landete in einem Keller voller Bier.
Gute Brauer und demütige Bierliebhaber, so wurde mir von einem Vertriebsleiter von Schneider Weisse glaubhaft versichert, kommen nämlich nach ihrem Ableben in Kiesbye's Bierkeller, einen sagenhaften unterirdischen Tannhäuser-Bierhimmel, ein Paradies (ohne oder mit Nackten?) und dürfen dort als unsichtbare Geister an allen Bierproben teilnehmen - aber ohne Rastal Teku-Glas!
Wie gesagt, es gab also genügend Gründe, dieses Bier nicht zu öffnen, denn: wer glaubt schon an einen Bierhimmel im Keller nach dem Absturz vom Watzmann? Nicht mal sturzbetrunken tut man das!
Der Bierhimmel beginnt nämlich in dieser Welt 100% sicher und tatsächlich mit dem Öffnen einer Flasche Kiesbye's Waldbier.
Das Bier trug die Nummer 56 von 120 Flaschen. Vielleicht, gut möglich, sehr wahrscheinlich, ganz bestimmt war es aber auch etwas Scheu, dieses seltene Bier zu öffnen, was zu einer längeren Lagerung in meinem Keller führte. Und ich bin auch nicht - noch nicht - Biersommelier und wissen tue ich nur etwas und mach schon bärenwaldstark auf Bier.
Zum Punkt: Das Waldbier ist ein Traum, keine Spur von agressiven, aufdringlichen Nadelholzaromen! Das Waldbier ist durchaus süß, aber gerade nicht zu süß, keinesfalls pappsüß, die Aromen sind sehr ausbalanciert und weich, holzig, honigartig, waldhonigartig, angenehm harzig, das Holz nicht dominant. Da könnten einige Barrique-Winzer was lernen, die einen körperschwachen Wein mit Holz zudröhnen. Das Waldbier kommt aus dem Wald (Arvenzapfen und Tannentriebe) und Eichenfässern (Whisky). Diese Aromen werden im Bier sehr zusammengehörig eingebunden. Die Whisky-Aromen sind mir entgangen, ich habe das Etikett auch nicht gelesen:-) im Keller war es zu dunkel, bzw. diese beschissene Beleuchtung könnte doch mal jemand...
Die 8.2 % Alkohol hält man für eine Übertreibung, da wird ein Meßfehler vorliegen In meiner Flasche waren es jedenfalls keine 8.2%. Ein Biertrinker hat das schließlich im Gefühl.
Man sollte dieses Bier nicht alleine trinken, aber auch nicht den Fehler machen wie ich und es mit zu vielen Trinkern teilen. Man möchte von diesem Bier unbedingt ein zweites Mal einschenken und noch ein kleines bisschen mehr zum Abgewöhnen. Trinktemperatur wurde mir 11-14 Grad empfohlen von Madam Bierland aus Hamburg, es steht nix dazu auf dem Papier. Wir haben es mit ca. 14 Grad getrunken, passt! Mich würde allerdings interessieren, ob es auch eiskalt schmeckt.
Fazit: Bier kaufen! (ca. 14,90 Euro für das 2013er für dieses experimentelle Verwöhn-Heimat-Ganghofer-Bier ist mehr als fair), trinken und genießen für 2-4 Personen. Das Bier (2013er) gibt es auch in 0,3 l Fläschchen, das finde ich ganz toll, es kann also auch alleine getrunken werden oder in kleineren Mengen, aber, so wie Hänsel und Gretel die Gefahren des Waldes zu Zweit gemeistert haben, sollte man diesen Hochgenuß mit einem lieben Menschen teilen.
Links zum Waldbier
Fragen an das Bier und den Brauer:
- Das Bier schäumte leicht aus der Flasche nach dem Öffnen. Was ist die Ursache? Zuviel Bewegung beim Transport vor dem Öffnen? Das war hier eindeutig der Fall. Es wurde mit zittrigen Händen von mir planlos von hier nach dort und wieder zurück getragen.
- "Kühl, dunkel und stehend lagern" steht auf dem Etikett, bzw. dem Papier. Logisch, das "kühl" ist aber das Problem. Ich könnte mir vorstellen, dass mein Keller zu warm ist, und eventuell spitzere, empfindlichere Aromen im Waldbier sich abgebaut haben. Wenn ich mich noch recht erinnere, sind Nadelholzaromen bei ätherischen Ölen nicht so stabil. Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass das Waldbier doch noch etwas "spitze", "grüne" oder pfeffrige oder andere Aromen vertragen könnte. Also irgendwas, das noch etwas "heraussticht", ohne das Aromengefüge aufzubrechen, zu zerstören. Kurzum: eine Aromakante mehr, ohne Sauna-Aufguß-Assoziation.
Listen and Drink: Musik zum Waldbier 2013 Cuvee 1
- Wagner: Tannhauser, Pilgerchor
- Hubert von Goisern: Kuahmelcher
- Wolfgang Ambros: Der Berg
- Mountain Man: Mouthwings
- Stimmhorn: Triohatala
- Zehnder: picnic with the monk - part one
- Was macht der Maier am Himalaja?